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Stefan Guggisberg
Übernahme
STUTTGART: 18. November 2011 – 28. Januar 2012

Stefan Guggisberg »ohne Titel (Übernahme)« 2010, Öl auf Papier, 215 x 170 cm

Stefan Guggisberg »Übernahme«

Der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr (1929 in Stuttgart geboren) hat sich mit den vielfältigen Versuchen der Wissenschaften beschäftigt, sich durch Forschungsfragen und deren Ergebnisse der Wirklichkeit zu nähern, um dann zu finden, daß dies nur in Form von Gleichnissen möglich ist. Dürr kommt am Ende seiner eigenen intensiven Tätigkeit als Naturwissenschaftler, zu dem Schluß, daß „die Grundwirklichkeit mehr Ähnlichkeit mit dem unfaßbaren, lebendigen Geist [hat] als mit der uns geläufigen greifbaren stofflichen Materie“.
Sein Hinausdenken über Versuchsreihen und Nachweisbarkeiten hin zu dem Nichtgreifbaren des Geistes findet im Werk Stefan Guggisbergs eine bildliche Entsprechung. Guggisbergs Motive entziehen sich einer räumlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit und führen den Betrachter in einen visuellen Bereich, in dem die definierbaren und bekannten Formen sich aufgelöst haben, um eine neue, innere Ordnung anzunehmen. Damit schafft Stefan Guggisberg eine Wirklichkeit auf dem Papier, die durch die allmähliche Auflösung der Figur und die dabei entwickelten Farbräume und Farbwellen eine Gültigkeit gewinnt, die gerade für das Geistige ein Resonanzfeld eröffnet. Guggisberg selbst spricht von einem in sich geschlossenen Bildkosmos, der durch das „Dirigieren“ von Kräften und von Bewegungen entstehe. Dieses „Dirigieren“ meint die sehr besondere Genese der Werke, der die Prozeßhaftigkeit in mehrerer Hinsicht immanent ist: er überzieht das Blatt Papier mit Ölfarbe und läßt das eigentliche Bildmotiv durch das Wegradieren der zuvor aufgetragenen Farbe entstehen. Ein entfernendes Element zeichnet – und mal stärkere, mal zartere Flächen bleiben zurück. Von einer aufgetragenen Oberfläche dringt Guggisberg so zu einem Untergrund vor, der auch inhaltlich als solcher zu verstehen ist: die Abtragung des Äußeren legt Inneres frei. Diesem Arbeitsprozeß liegt, laut Stefan Guggisberg, keine motivische Konzeption, sondern eine Ahnung zugrunde. So wie die Hand des Zeichners Transmitter einer inneren Bewegung ist, ist der Körper des Betrachters Empfänger einer von Farb- und Zeichenstruktur übermittelten Schwingung. Beim Ansehen dieser Bilder, insbesondere der großen Papiere, wird der Betrachter beinahe körperlich in Bewegung versetzt. Der Blick verliert sich in den oszillierenden monochromen und vielfarbigen Zeichenebenen. Nach Motivbedeutung muß dabei nicht gefahndet werden. Vielmehr ist die Erfahrung eines nicht vorhandenen Endpunktes, dadurch von größter Offenheit und Weite möglich. Stefan Guggisbergs Bilder fordern zum gedanklichen Eintritt auf. Geht der Betrachter diesen visuellen Weg, ist die Ahnung einer anderen, neuen Klarheit möglich. Text: Elisa Tamaschke.

Stefan Guggisberg »Übernahme« (Engl.)


After having explored various experiments in sciences to approach substantiality through research questions and their results, the quantum physicist Hans-Peter Dürr (born in Stuttgart, Germany, in 1929) found this can only be resolved in the form of analogies. In the conclusion of his own intensive work as a natural scientist, Dürr states that „the basic reality bears more analogies with the unfathomable, vivid spirit than with the tangible substantial matter we are familiar with." His thinking beyond series of experiments and verifiability to the point of the non-tangible of the spirit show a visual equivalent in Stefan Guggisberg’s works. Guggisberg’s motifs defy a spatial and temporal determinability – leading the viewer towards a visual area where the definable and established forms have dissolved in order to adopt a new inner order. This way, Stefan Guggisberg creates a reality on paper gaining validity through the gradual resolution of the figure and the thus developed coloured areas and waves which opens a resonance field for the spirit in particular. Guggisberg himself talks about a self-contained cosmos of images created by way of “conducting” forces and motions. By “conducting” he refers to the very particular genesis of works bearing an intrinsic processual quality in various respects: he covers the sheet of paper with oil paint to then create the actual motif of the picture by obliterating the paint he applied beforehand.
An erasing element draws – and areas, at times rather dominant, at other times rather delicate, remain. Guggisberg thus expands from a coated superficial area into a subsurface which can also be regarded as such with regards to its content: uncovering the exterior exposes what lies within. According to Stefan Guggisberg, the basis for this working process is not a concept of motifs but an anticipation. As the drawer’s hand works as a transmitter for an inner motion, the body of the viewer becomes a receiver of an oscillation caused by the structure of colours and drawings. Looking at these pictures – especially the big sheets – the viewer is almost physically set in motion. Within the oscillating monochrome and multi-coloured layers of drawings, the viewer’s gaze starts to drift. However, there is no need to search for the meaning of motifs. It is in fact the experience of a non-existing end point and thus of maximum openness and wideness. Stefan Guggisberg’s pictures present an invitation to gain notional access. If the viewers take this visual path they are enabled to anticipating a different new clarity. Text: Elisa Tamaschke.